Der Unwiderstehliche.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Garnison und Manöver” Nagel's Bibliothek, Band 13/14, Berlin, 1905


„Also noch einmal — sperren Sie aber gefälligst die Ohren auf, Muchow! Zunächst zum Gärtner, wo Sie das bestellte Bouquet abholen und es zu meiner Braut bringen. Verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant!”

„Dann zum Herrn Oberst von Gleesen mit diesem Brief. Verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant!”

„Zuletzt sagen Sie im Kasino Bescheid, daß ich zwei Tage nicht zum Essen komme. Das heißt, Muchow — wenn Sie den Brief zu meiner Braut, die Blumen dagegen ins Kasino tragen und womöglich dem Herrn Oberst bestellen, daß ich zwei Tage nicht zum Essen komme, dann hänge ich Sie auf; darauf können Sie sich verlassen. Also marsch! — Doch halt' mal — — — noch Eins. Wenn Sie fortgehen, dann stellen Sie das Avis am Türbriefkasten auf „Nicht zu Hause”. Überhaupt bin ich heute und morgen für Niemanden zu sprechen. Durchaus für Niemanden — am allerwenigsten aber für den schrecklichen Kerl, der mir seit acht Tagen fortwährend auf dem Halse liegt. Sie wissen, Muchow, den Agenten — —”

„Zu Befehl, Herr Leutnant — aber der ist schon wieder da.”

„Mann!! Um Himmelswillen! Und Sie haben gesagt, daß ich zu Hause bin!”

„Ich habe nichts gesagt, Herr Leutnant. Er hat gewußt, daß der Herr Leutnant zu Hause sind. Seit einer halben Stunde steht er draußen im Korridor und ist nicht wegzukriegen. Er möchte den Herrn Leutnant nur auf eine knappe Sekunde sprechen.”

„Eine Sekunde! Das kenne ich!” rief Leutnant Hasselbringh, indem er mit zerrenden nervösen Bewegungen an seiner häuslichen Litewka knöpfte. „Wenn Sie mir diesen Menschen, dieses Fleckfieber, nicht vom Leibe halten, Muchow, dann weiß ich nicht, was ich tue! Sagen Sie ihm —”

„Es handelt sich wahrhaftigen Gott nur um eine einzige kleine Sekunde,” ließ sich eine fettige Stimme von der Tür her vernehmen, und zwar in einem Tonfalle, aus dem ein väterlicher, fast zärtlicher Vorwurf klang. Gleichzeitig öffnete sich die Tür gerade so weit, daß Julian Grekowski, Generalvertreter der Gesellschaft „Providentia” A.G., den runden blanken Schädel hineinschieben konnte, ohne sich die etwas zentrifugalen Ohren abzuscheuern. Als er aber festgestellt, daß ihm kein schwerer Gegenstand drohte, schraubte sich der kleine Mann sofort vollends in das Zimmer. Damit hatte er vorläufig gewonnenes Spiel; denn wo Julian Grekowsky einmal eingetreten war, hatte er den schwierigsten der Widerstände überwunden.

Gleich nahm auch die Gesichtsseite der blanken Kegelkugel einen anderen Ausdruck an. Das nach rüclwärts sprungbereite lächelnde Mißtrauen verschwand und machte einem würdigen Ernste Platz. Die wulstigen, blaurasierten Lippen schmatzten, als ölten sie sich für eine längere Ansprache geschmeidig, und hinter den kleinen Brillengläsern, deren goldene Ränder und Haken tief in Fettriemeln gebettet lagen, sahen zwei noch kleinere Äugelchen so freundlich und zuversichtlich auf den jungen Offizier, als wenn dieser sich nur zu dem Zwecke krank gemeldet hätte, um von Julian Grekowski ungestört „versichert” zu werden.

Leutnant Hasselbringh hatte den Burschen abgewinkt, beide Hände in die Hosentaschen gesteckt und sich in einen Sessel fallen lassen.

„Wie gesagt, Herr Leutnant, es sind nur wenige Minuten —” begann der Agent, indem er seinen Hut auf einen Tisch legte und aus der abgründigen Tiefe seiner Tasche ein Bündel Papiere zückte. „Über das Allgemeine haben wir uns ja in den letzten Tagen bereits verständigt — es handelt sich heute nur darum — —”

„Mein verehrter Herr,” rief der Offizier ungeduldig, „ich habe Ihnen erklärt, daß ich vorläufig garnicht daran denke — wenn Sie das eine Verständigung nennen, so verstehen wir uns eben nicht, und ich muß bitten — —”

Herr Grekowski wiegte mit überlegenem Lächeln das Haupt, schmatzte und sagte, etwa wie man ein Kind belehrt:

„Vorläufig! Gewiß, Herr Leutnant, vorläufig wollten Sie nicht. Vorläufig war doch aber gestern und vorgestern. Heute liegt die Sache ganz anders, und Sie werden sich entschließen, wenn Sie nur gestatten wollen —”

„Nichts gestatte ich, Herrrr!” begehrte der Offizier auf, indem er die Hände zu einer heftigen Geste aus der Tasche riß und sich erhob. „Zum Donnerwetter noch einmal, sehen Sie denn nicht, daß Sie mir lästig sind? Ich habe eine kriegsgeschichtliche Abhandlung zu schreiben, welche morgen Abend fertig sein muß!”

„Nu — und Sie glauben nicht, Herr Leutnant, daß Sie die Abhandlung viel gesammelter und infolge dessen besser schreiben werden, wenn Sie vorher die Zukunft Ihrer späteren lieben Frau Gemahlin sicher gestellt haben werden?”

Leutnant Hasselbringh bezwang sich mit einem halbunterdrückten Aufstöhnen und trat ans Fenster. Von dort warf er über die Schulter hin: „Dessen bedarf es nicht!”

„Wie Sie sowas sagen können, Herr Leutnant,” erwiderte Julian Grekowski, indem er den Kopf zwischen die Schultern zog. In seiner Stimme zitterte etwas wie Trauer. „Der Herr Geheimrat, Ihr Herr Schwiegervater, ist ganz gewiß ein reicher Mann — aber wie es im Leben manchmal spielt — — Baring Brothers in London waren auch reiche Leute und haben doch Pleite gemacht; und wenn die Gläubiger nicht — — —”

„Ich habe überdies selbst Vermögen!”

„Sie können auch Pleite mnachen, Herr Leutnant.”

Der ruhige, unerschütterlich überzeugte Ton, in welchem der Agent diese Möglichkeit hinstellte, überraschte derart, daß der junge Offizier zunächst nur mit einem Achselzucken antworten konnte. Dann aber eklärt er: „Ich werde nicht versichern.”

„Sie werden versichern, Herr Leutnant.”

„Ich werde nicht versichern!” klang es wütend, aber doch schon mit einer hörbaren mürben Ratlosigkeit vom Fenster her.

Herr Grekowski legte das Bündel Papiere neben seinen Hut auf den Tisch. Nachdem er umständlich Daumen und Zeigefinger an den Lippen benetzt, suchte er ein Antragsformular heraus, und während er dasselbe auseinanderfaltete und es dann zärtlich auf seinem Bauche glatt strich, erwiderte er treuherzig:

„Sie werden, Herr Leutnant. Sie werden — wenn Sie erst eingesehen haben, welchen glücklichen Zufall es auszunutzen gilt. Ich habe erfahren, daß Sie übermorgen Geburtstag feiern. Schon heute beglückwünsche ich Sie zu diesem festlichen Tage — und vornehmlich auch zu dem Zufalle, der mir diese Kenntnis verschafft, Wissen Sie, was das für Sie bedeutet, Herr Leutnant? Sie sparen Geld! Bares Geld! Wenn Sie den Antrag heute unterschreiben, so zahlen Sie jährlich zweihundert Mark Prämie weniger! Sie brauchen kein Geschäftsmann zu sein, Herr Leutnant, um einzusehen, daß zweihundert Mark haben oder nicht haben ein großer Unterschied ist —”

Fritz Hasselbringh war ein konzilianter Mensch, der es einfach nicht übers Herz brachte, die letzte Konsequenz zu ziehen. Außerdem war ihm inzwischen ein Einfall gekommen, wie er sich dieses unheimlichen Fleckfiebers entledigen konnte. Er unterbrach den Redestrom des Agenten mit einer Handbewegung, die einen Entschluß ausdrückte.

„Also schön mein Herr — ich kapituliere vor Ihrer Unwiderstehlichkeit und werde mir den ‚glücklichen Zufall’ zu Nutze machen. Machen Sie den Antrag fertig.” Damit trat er vom Fenster weg und begann eine Zimmerpromenade.

Julian Grekowski verriet keine besondere Freude, er nahm den Entschluß wie etwas Selbstverständliches, unbedingt Vorausgesetztes hin. Mit einem jovialen „Na also —” nahm er bequem am Schreibtisch Platz, wählte sorgfältig unter den Federhaltern und machte sich fertig. Das Nationale mit seinen verschiedenen Steckbrieffragen war bald festgestellt. Herr Grekowski schrieb, das runde blanke Haupt leicht auf die linke Schulter geneigt, mit der Kalligraphie eines Mannes, dem das Schreiben eine liebe Beschäftigung ist, und so achtete er nicht darauf, daß der Offizier ihn von Zeit zu Zeit mit einem Blick voll lauernder Schadenfreude streifte.

„Vorbehaltlich der ärztlichen Untersuchung, Herr Leutnant, sind hier noch einige allgemeine Fragen vorgezeichnet über Ihren und Ihrer Familie Gesundheitszustand. Ihre Großeltern leben nicht mehr?”

„Nein.”

„Woran sind sie gestorben?”

„An der Schwindsucht.”

„Und Ihre werten Eltern?”

„Leben auch nicht mehr.”

„Oh — und die Todesursache?”

„Auch Schwindsucht.”

Julian Grekowski räusperte sich und kraute mit der Linken merklich unzufrieden seine Platte. Aber er fragte weiter:

„Wie ist im Allgemeinen Ihr Gesundheitszustand?”

„Schlecht.”

„Rrrhm — leiden Sie an einer chronischen Krankheit?”

„Ja, mir ist manchmal so, als hätte ich auch die Schwindsucht.”

„Aber Herr Leutnant,” äußerte der Agent, indem er zum ersten Male aufsah und den in tiefem Ernst an ihm vorbei Spazierenden mit einem mißtrauischen Blicke streifte. „Sie sehen doch aus, als wenn Ihnen der Frühling einen Kuß gegeben hätte!”

„Das täuscht, mein Lieber,” entgegnete der Offizier. „Die Sache ist in unserer Familie erblich. Fünfundsiebzig Prozent der Hasselbringhs gehen an Schwindsucht drauf, und der Rest pflegt sich mit Krebs oder ähnlichen Annehmlichkeiten zu tragen. Es ist traurig, aber es ist so.”

Fritz Hasselbringh war so entzückt von seinem Einfalle und dem augenscheinlichen Gelingen, daß er garnicht bemerkte, wie Julian Grekowski plötzlich die dicken Lippen spitzte und mit einem leichten Wiegen des Kopfes unhörbar vor sich hinpfiff. Dann trocknete der Agent das Geschriebene an der Löschblattunterlage ab und erhob sich.

„Unter diesen Umständen,” sagte er, indem er bedauernd die Achseln hob, „scheint mir allerdings wenig Aussicht vorhanden, daß meine Gesellschaft Sie annehmen wird. Aber seien Sie darum nicht traurig, Herr Leutnant. Man hat Exempel von Beispielen, wo sich der Gesundheitszustand selbst in den hoffnungslosesten Fällen in ganz kurzer Zeit auffällig bessert. Sollten Sie eine Besserung Ihres Befindens verspüren, so wollen Sie die Güte haben, mich davon in Kenntnis zu setzen. Ich stehe dann gern zu Diensten. Behalten Sie dabei im Auge, daß die Annahme bei einer Lebens­versicherungs­gesellschaft immer eine gewisse tröstliche Garantie für gutes körperliches Befinden bedeutet. Meine Adresse ist Mühlenstraße 58, drei Treppen. Eine Postkarte genügt. Also Mühlenstraße 58 —”

„Ich danke Ihnen sehr, aber Sie sehen selbst ein, daß ich unter diesen Umständen schwerlich dazu kommen werde, Sie zu bemühen.”

„Nu — man kann nicht wissen, Herr Leutnant. Sowas bessert sich manchmal sehr schnell. Vergessen Sie nicht — Mühlenstraße 58, drei Treppen — — —”

*           *           *

So gut war dem Leutnant Fritz Hasselbringh noch keine seiner im ganzen Regiment berühmten kriegsgeschichtlichen Abhandlungen geglückt. Wenn er auf diese Arbeit hin nicht zur Kriegsakademie eoinberufen wurde, dann gab es keine irdische Gerechtigkeit. Vorläufig aber hatte er noch nicht die mindeste Veranlassung, an dieser Gerechtigkeit zu zweifeln. Bei Vorgesetzten und Kameraden gleichermaßen beliebt, mit dem Ausblick auf eine glänzende Karriere, der Verlobte des liebenswürdigsten und umworbensten Mädchens der Stadt — so hing ihm der Himmel voller Geigen.

Die freundliche Perspektive, welche sein junges Dasein ihm eröffnete, hatte er eigentlich nie so summarisch und eindrucksvoll empfunden, wie heute Morgen. War es die glückliche Lösung einer besonders komplizierten Aufgabe; war es die jauchzende Erwartung, nach zwei Tagen der Trennung seine liebreizende junge Braut wiederzusehen oder wirkte der frische sonnige Morgen auf seine Stimmung — jedenfalls war er jodelnd vergnügt, als er das Haus verließ, um sich zum Dienst zu melden.

Die Geburtstags-Bowle im Kasino sollte ganz besonders exquisit werden und so ausgiebig, daß selbst der dicke Oberleutnant von Leesten ihr nicht auf den Grund kommen würde.

Kaum gedacht, tauchte der Oberleutnant aus einer Seitenstraße auf.

„Herrje, Hasselbringh! Eben wollte ich zu Ihnen, um mich zu erkundigen, wann Sie sterben wollen — und nun tanzt der Mensch auf der Straße einher! Das heißt, angegriffen sehen Sie noch genug aus. Ich wäre an Ihrer Stelle nicht aufgestanden. Hasselbringh, das ist doch unvernünftig!”

„Angegriffen? Ich? Erlauben Sie mal — —”

„Na, Sie haben sich doch krank gemeldet, Kindchen.”

„Das wohl, aber doch nur, um zu arbeiten.”

„Gearbeitet haben Sie in dem Zustande auch? Nee, Hasselbringh, das verstehe der Deuwel! Es war gestern im Kasino ganz allgemein die Rede davon, daß ein altes Familienleiden bei Ihnen zum Ausbruch gekommen wäre. Und da Sie ein lieber Kerl sind, haben wir Sie alle von Herzen bedauert.”

„Das ist sehr nett von Euch — aber mir fehlt gar nichts. Ich bin nie so mobil gewesen, wie gerade heute!”

„Na ja das mag schon sein. Immerhin — mit sowas ist nicht zu spaßen, Hasselbringh. Ich war auf Kriegsschule mit einem entfernten Vetter zusammen. Bei dem war's auch so. Mal puppenlustig und frisch, und am nächsten Tage schlapp wie eine ausgerissene Winterlevkoje. Nach einem halben Jahre war er tot. Also sehen Sie sich vor, lieber Kamerad. Ich muß nun gehen. Adieu! Wenn Sie sich gut befinden, dann treffen wir uns vielleicht im Kasino, nicht wahr? Adjüs, Hasselbringh! Und vor allen Dingen schlagen Sie den Mantelkragen hoch!”

Die Stimmung des jungen Offiziers hatte durch diese Begegnung schon bedeutend gelitten. Der Umschlag wurde komplet, als er eine halbe Stunde später im Regimentsbureau vor seinem Oberst stand und der alte Herr ihn mit einem Ausdruck anstarrte, als erlebe er eben die Auferweckung von Jairi Töchterlein.

„Mensch! Was wollen Sie denn!”

„Melde mich gehorsamst zum Dienst, Herr Oberst.”

„Zum Dienst! Machen Sie keine Dummheiten, Hasselbringh. Gehen Sie nach Hause und legen Sie sich wieder hin. Ich war schon erstaunt, gestern Abend die Arbeit von Ihnen zu erhalten — und nun wollen Sie gar Dienst tun!”

„Verzeihen der Herr Oberst — aber ich befinde mich durchaus wohl.”

„Das sagen Sie so, lieber Hasselbringh. Aber Sie halten mich doch nicht für so gewissenlos, Sie heute schon in Dienst zu nehmen! Gehen Sie nach Hause — mit dergleichen ist nicht zu spaßen. Namentlich wo es sich doch um Erbübel handelt. Ich würde an Ihrer Stelle überhaupt Urlaub nehmen, um die Geschichte, soweit sich das machen läßt, gleich im Keim niederzuringen.”

Fritz Hasselbringh fühlte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg; aber er bezwang sich.

„Herr Oberst, ich gebe die Versicherung ab, daß ich vollständig gesund bin und — — —”

„Schön, lieber Hasselbringh,” erwiderte Herr von Gleesen, „Sie fühlen sich momentan gesund; trotzdem aber befehle ich Ihnen hiermit, daß Sie auf direktem Wege nach Hause gehen und dort den Besuch des Oberstabsarztes abwarten, der sich übrigens sehr wundert, daß Sie ihn noch nicht konsultiert haben. Hatten Sie einen snderen Arzt?”

„Nein, Herr Oberst, ich hatte überhaupt keinen Arzt, ich —”

„Sie sind vollständig gesund. Weiß schon. Aber es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Und nun von Herzen gute Besserung, lieber Hasselbringh! Ich komme morgen oder in den nächsten Tagen selbst mal bei Ihnen vor und sehe, wie es Ihnen geht. Vergessen Sie nicht den Mantelkragen hochzuschlagen!”

Als Fritz Hasselbringh auf direktem Wege nach Hause ging, wußte er nicht, ob er lachen oder heulen sollte. Entweder waren alle Menschen in den zwei Tagen seiner Weltabgeschiedenheit verrückt geworden oder — — —

Plötzlich dämmerte eine fürchterliche Erkenntnis in ihm auf.

Julian Grekowski! Das Fleckfieber — —

Leutnant Hasselbringh stürmte in einer Pace nach Hause, als gälte es, die geschäftige Fama, welche ihn zu den Todeskandidaten zählte, in ihrem Laufe einzuholen.

„Muchow!” brüllte er, nachdem er kaum den Korridor betreten. Muchow aber ließ sich Zeit und erschien erst nach dem zweiten dröhnenden Lockruf.

„Wo stecken Sie denn, verdammter Kerl!” hauchte ihn Hasselbringh an.

„Zu Befehl Herr Leutnant,” erwiderte der Bursche merklich gekränkt. „Ich war in der Küche.”

„In der Küche! Sie sollen doch antreten, sowie ich in den Korridor komme! Was machen Sie denn überhaupt in der Küche! He!?”

„Ich habe Milch mit Kognak gekocht, Herr Leutnant. Die Frau Pastorin von nebenan hat mir heute Morgen gesagt, das solle ich machen; das wäre gut für den Herrn Leutnant.”

„Tragen Sie das Gesöff zur Frau Pastorin, Sie Esel, und sagen Sie der Dame, sie möchte das selbst trinken! Ich sei gesund, verstehen Sie? Vollständig gesund!!”

„Das freut mich, Herr Leutnant! Fraut mich aufrichtig!” quäkte die Stimme Julian Grekowskis dem in sein Zimmer tretenden Offizier entgegen.

„Herrrrr — Sie wagen es — —!!”

„Bitte, Herr Leutnant,” eiferte der Agent, „ich bin im Auftrage Ihres Herrn Schwiegervaters hier. Ich hatte geschäftlich bei dem Herrn Geheimrat zu tun — und der Herr Geheimrat ist sehr besorgt, daß seine Tochter unvorbereitet Etwas von Ihrem Gesundheitszustand erfahren könnte.”

„Das ist unerhört, Herr! Das ist — — ”

„Ich weiß — und ich habe auch mein Möglichstes getan, dem Herrn Geheimrat die Sache auszureden. Aber Sie wissen ja, Herr Leutnant, wie alte Herren so sind — namentlich Geschäftsleute. Was sie nicht schwarz auf weiß haben, das hat schwer Geltung. Da Sie sich nun wohl fühlen, steht gar nichts mehr im Wege, allen beunruhigenden Gerüchten in der wirksamsten Form zu begegnen.”

Leutnant Hasselbringh ließ sich überwältigt in einen Stuhl sinken. Mit dem Humor der Situation überkam ihn Etwas wie Staunen und Bewunderung. Was könnte aus Julian Grekowski für ein Kerl werden, wenn er nicht Generalvertreter der Gesellschaft „Providentia”, sondern Stratege wäre. Ein Napoleon an Verschlagenheit, Kühnheit und Rücksichtslosigkeit!

Julian Grekowski aber nahm bequem am Schreibtische Platz, wählte sorgfältig unter den Federhaltern und machte sich fertig. — —

— — —